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Dieser Text wurde von Sylle geschrieben

Meine Bessie

Bessie wurde am 28.12.1989 bei einem osteuropäischen Massenzüchter geboren. Sie wurde, keine 6 Wochen alt, an einen deutschen Hundehändler verkauft und landete, wie auch immer, im Rheinland. Dort lebte sie bei einem alleinstehenden, voll berufstätigem Mann, der sie im Mai 1991 an eine Familie verkaufte.

Diese Familie inserierte sie im Februar 1992 als "abzugeben gegen Schutzgebühr" in der Tageszeitung.

Somit kam ich ins Spiel. Meine Entscheidung, mit einem Hund zusammenzuleben, war schon vor Monaten gefallen. Als blutige Anfängerin wollte ich einen unproblematischen Hund, pflegeleicht, kurzhaarig, dunkel, nicht zu klein. Ich war literarisch gut vorbereitet, dachte ich, und hatte schon einige Tierheime aufgesucht, allerdings ist der berühmte Funke nie übergesprungen.

Zufällig las ich die Zeitungsanzeige, ein blonder Langhaarcolllie entsprach weder vom Wesen, noch vom Pflegeaufwand oder Aussehen meinen Vorstellungen, warum ich anrief und hinfuhr weiß ich nicht.

Als ich die Bessie das erste Mal sah, wars um mich geschehen. Eine derartige Blitzliebe habe ich bisher nur noch einmal erlebt, als ich meinen Mann kennenlernte, aber das war etwas später.

Bessies damalige Familie bestand aus einem Ehepaar, 2 Töchter im Teenageralter und ein kleiner Junge. Bis auf die Frau hielten sich alle zurück. Sie erzählte, daß der Hund nur lieb sei, lediglich maanchmal Verdauungsprobleme hätte, aber bei Fütterung mit einem bestimmten (Billig-) Futter keine Probleme hätte. Mehr konnte sie über den Hund nicht sagen. Verträglich-keit mit anderen Hunden oder Katzen - keine Ahnung, aber die ist lieb.

Autofahren - der Hund wurde nie im Auto mitgenommen.

Vorliebe, Abneigungen - Fehlanzeige.

Ach ja, Treppen würde sie nicht steigen, daher hätte sie ihre Schlafplatz unten im Flur des Einfamilienhauses.

Alleinbleiben kann sie gut, im letzten Sommerurlaub hat man sie nämlich 3 Wochen lang alleine zu Hause gelassen. Lediglich 2x täglich kam ein Nachbarkind zu Ausführen und Füttern. Auch sonst habe man sie nie mitgenommen, das Auto sei zu klein.

Kurz und gut, die Frau war freundlich und nett, hatte aber keinerlei Ahnung von der Hundeseele.

Mir schwante, daß ich mir eine riesige Aufgabe aufbürden würde, aber dort durfte der Hund keinesfalls bleiben. Als dann ein weiterer Interessent anrief, der mit Bessie züchten wollte, habe ich sie mitgenommen.

Sie sprang auch problemlos ins unbekannte Auto. Das war typisch für ihre weiteren Entwick-lungsschritte. Unbekanntem stand sie zwar vorsichtig, aber recht neugierig gegenüber, vor vielem Bekannten hatte sie panische Angst, das war vermutlich negativ besetzt.

In den nächsten Wochen kam die ganze Misere zum Vorschein:

Bessie wich mir nicht mehr von der Seite. Hatte sie doch endlich, und vielleicht erstmals einen Menschen gefunden, der ihr eine Beziehung anbot.

Sie war kaum sozialisiert, kaum erzogen, hatte keine Umweltprägung, sondern entdeckte die Welt wie ein Welpe, aber mit dem Hintergrund schlimmer Erfahrungen. Sie ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mißhandelt worden, hatte panische Angst vor Männern mit Stöcken oder Schirmen. Ja, sogar vor meiner Hand zuckte sie zurück. In der ersten Zeit war es mir nicht möglich, ihr Hinterteil, ihren Schwanz und ihre Hinterpfoten zu berühren. Konnte sie dann nicht ausweichen, schnappte sie nach mir.

Ansonsten war sie wirklich bemüht, mir zu gefallen, lernte in unglaublichen Tempo, wurde leinenführig und beherrschte schnell, was ein gut erzogener Hund können muß.

Im vertrauten Rahmen war sie regelrecht ausgelassen, spielte und begann dann zu jagen. Letzteres gewöhnte ich ihr aber rasch wieder ab.

Sie lernte auch Hunde kennen, was anfänglich gut klappte. Leider hatte sie aber keinerlei Repertoire der Hundesprache. Sie verstand die Signale der anderen nicht und sendete ebenfalls keine verständlichen aus. Wurde sie bedrängt, unterwarf sie sich nicht, sondern ergriff die Flucht, was den Bedränger natürlich animierte, ihr nachzujagen.

Schüsse, Spielzeugpistolen, Männer mit Alkoholfahne, Kinder auf Bobbycars oder Rollschu-hen, Fahrräder (man hatte versucht, sie am Fahrrad mitzunehmen, habe aber nicht geklappt; vermutlich wurde sie dabei angefahren), das Gehen unter einer Brücke oder auf Holzplanken.... die Angstliste eröffnete sich mir in den ersten Wochen.

Und daß sie an chronischer Dickdarmentzündung litt, war auch schnell klar.

Was sie noch nicht kannte und dann bei mir kennenlernte, das war in Ordnung. Autofahren, Straßenverkehr, Baden im Fluß und im Meer, Menschengewusel in der Fußgängerzone, ja sogar Straßenbahnfahren - alles kein Problem.

Neben dem Nachholen von Prägung, Sozialisation und Erziehung begann die Entangstung, die schwierigste Aufgabe. Hier zwei Beispiele:

Alleinebleiben:

Im Auto, oder im Büro (sie kommt selbstverständlich mit zur Arbeit) blieb Bessie problemlos allein. Diese Situationen waren ja auch neu und hatte sie bei mir erst kennengelernt.

In der Wohnung nicht, sie schrie und kläffte, sodaß ich diesen Versuch einfach hintenan stellte. Sie ist mir ca. 1 Jahr lang bis auf die Toilette gefolgt. Obwohl sie das Duschgeräusch nicht mag, kam sie mit zum Duschen.

Ich hatte damals keine Erfahrung mit traumatisierten Hunden, aber die Behandlung traumatisierter und mißhandelter Kinder war mir vertraut. Deren Grundsätze modifizierte ich für den Hund.

Da sie Verlassenheitsängste hatte, verließ ich sie halt nicht. Wenn es gar nicht anders ging, parkte ich sie bei meinen Eltern. Ich vertraute darauf, wenn unsere Beziehung stabil und trag-fähig ist, wird sie mich eines Tages gehen lassen und wissen, daß ich wieder komme.

Und so war es dann auch, meinem ersten einsamen Gang zur Toilette folgte ein unbegleiteter Gang in den Waschkeller usw.

Seit vielen Jahren bleibt sie problemlos auch in der Wohnung stundenweise alleine.

Kaspar-Hauser-Syndrom unter anderen Hunden:

Wie schon oben beschrieben, war Bessie den Umgang mit anderen Hunden nicht gewohnt. Natürlich provozierte das auch negative Erlebnisse.

Mein erster Gedanke war natürlich Hundeschule oder Hundeplatz. Wir haben uns alle Plätze in der Umgebung angeschaut und mir sträuben sich heute noch die Haare. Das Gebrüll, der Lei-nenruck, Stachelhalsbänder usw. Nein hier konnte keiner der sensiblen Collieseele gerecht werden. Ich war also auf mich gestellt.

Daher suchte ich also regelmäßig die Freilaufgebiete auf, ermutigte zum Hundekontakt, ließ sie aber auch ausweichen, wenn angebracht. Und ich habe sie beschützt, aufdringliche Rüden weggeschickt, freche Hündinnen angebrüllt. Dabei habe ich darauf geachtet, ihr je nach Tagesform und Entwicklungsstand, stetig mehr Selbständigkeit bei den Kontakten abzuverlangen. Alles schrittchenweise, langsam, aber mit Rückfällen.

So gab es durchaus Hundebesitzer, die sich sogar amüsierten, wenn ihre wilde Meute meinen Angsthasen über die Wiese jagte. Damit war die Arbeit von Wochen zunichte.

Dennoch ging es vorwärts. Als Bessie irgendwann zum ersten Mal einen aufdringlichen Rüden "wegbiß", habe ich sie wahnsinnig gelobt und das Kommando "beiß ihm in die Nase" eingeführt. Das habe ich ihr dann in derartigen Situationen gegeben und so lernte sie, sich selbst zu wehren. Das Kommando braucht sie schon lange nicht mehr, es war nur für die Übergangszeit gedacht.

Glücklicherweise haben wir schnell Hundefreundschaften geschlossen und uns regelmäßig getroffen. Diese Hundekumpels haben wesentlich zu Bessies Identitätsfindung beigetragen.

Alle anderen Ängste haben wir ebenfalls abbauen können.

Jeden auf seine Art, aber die Basis war stets die Beziehung, Bessies Sicherheit in meiner Obhut, meine klare Stellung als Anführerin und auch Beschützerin, ganz viel Geduld und das Gespür, Bessie immer mehr zutrauen zu können.

Bessie wurde, seitdem sie bei mir ist, nie wieder geschlagen, angebrüllt, an der Leine gezerrt oder geruckt. Wann immer möglich, nehme ich sie überall hin mit und gehe auf ihre Bedürfnisse ein.

Ich habe sie jahrelang als "therapeutische Helferin" bei mißhandelten, traumatisierten, mißtrauischen Kindern eingesetzt. Auch in der Elternarbeit war sie hilfreich. Sie ist unglaublich sensi-bel, nimmt Stimmungen wahr.

Der ehemalige Angsthase geht für die, die sie liebt durchs Feuer. Sie beschützt mich, insbesondere im Dunkeln, hat bereits einen Exibitionisten und einen Belästiger wütend weggebellt. Meine von ihr geliebte Mutter hat sie sogar vor einer Tigermeute mutig retten wollen. Allerdings war das im Zoo und die Situation nur in den Hundeaugen dramatisch.

Ich könnte noch seitenweise berichten, in unserem nun 9,6jährigen Zusammenleben gab und gibt es viele große und kleine Ereignisse. Und natürlich habe ich auch Anfängerfehler gemacht.

Ich bereue keinen Tag und finde es unendlich befriedigend, daß eine kaputte Hundeseele wieder so aufgebaut wurde und Bessie sich zu einem gesunden, lebensfreudigen Hund entwickeln konnte.

Ich weiß, daß ich mich irgendwann wieder so einer Aufgabe stellen werde.

Sylle August 2001

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